Der Fremde in mir by Markus Dullin

Der Fremde in mir by Markus Dullin

Autor:Markus Dullin [Dullin, Markus]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: schwul, Homosexualität, Grönland, Rache, Bodybuilder, Körperkult
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00


Kapitel 11

Ich spiele, um nicht über Elizabeths Angebot nachdenken zu müssen, mit der eingeschweißten Kanüle und der Spritze. Das Plastik knistert, und ich bin versucht, es aufzureißen. Die Ampulle Sustanon steht auf dem Nachttisch. Ich brauche nur ihren Hals zu kappen, die Spritze aufzuziehen und die Nadel in meinen Arsch zu jagen. So etwas verlernt man nicht. Die ersten Male waren unangenehm gewesen, besonders der kurze Moment vor dem Stich, das Eindringen der Kanüle in den Muskel. Dann der leichte Druck um die Stelle, wo die ölige Flüssigkeit sich verteilte, und schließlich das befreiende Herausziehen der Nadel. Ich hatte mich schnell daran gewöhnt, bevor es zur Routine wurde. Jahrelang. Und jahrelang habe ich es nicht mehr gespürt. Dieses Gefühl möchte ich gern wiederholen. Mit dieser einen Ampulle ließe sich nichts mehr rückgängig machen, alle Steroide dieser Welt würden dies nicht vollbringen, doch zumindest könnte ich eine Erinnerung wiederbeleben, eine schmerzhafte zwar, aber eine Erinnerung nichtsdestotrotz. Ich glaube, es hätte den gleichen Effekt wie das Foto meiner Eltern, das ich manchmal hervorziehe, um es anzusehen.

Ich entscheide mich dagegen, lege die beiden Utensilien zu der Ampulle und greife stattdessen nach dem Zeitungsausschnitt. Er stammt aus dem Jahr, als Viktor mich hat fallen lassen. Ohne ersichtlichen Grund. Der Dopingskandal, um den es hier in wenigen Zeilen geht, hätte ihm beinahe das Genick gebrochen. Viktor hatte gedroht, mich umzubringen, sollte ich etwas verraten. So wie er mich aufgebaut habe, so einfach würde er mich wieder vernichten, das waren seine Worte. Und zu diesem Zeitpunkt ahnte ich bereits, dass er dies nicht einfach nur dahingesagt hatte. Ich ging kein Risiko ein, und meine fehlende Aussage rettete ihn vor dem Knast. Anders als seinen Mitangeklagten konnte man Viktor nichts nachweisen. Er war kein Anfänger in Sachen Betrug, wusste auch diesmal seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Ich tauchte ab. Mein Training musste ich natürlich aufgeben, denn in dieser Szene hätte Viktor zuerst nach mir gesucht. Anhand von Zeitschriften und Bekannten verfolgte ich seine Pläne und den Erfolg seines nächsten Schützlings, und nach diesem die fragwürdige Karriere des übernächsten. Und so weiter. Ich hatte Zeit. Plötzlich machte ich mir die Geduld zu eigen, die ich im Bodybuilding nie gehabt hatte. Alex half mir dabei. Ohne ihn hätte ich es niemals geschafft. Weder Viktor all die Zeit über auf den Fersen zu bleiben, geschweige denn meine Depressionen und Fressattacken zu ertragen. Ich legte Geld zurück, sparte jahrelang, da ich wusste, ich würde es irgendwann brauchen. Aber ich bemerkte auch, dass die Zeit langsam gekommen war, sollte sich mein Hass nicht in Luft auflösen. Und für meine Rache ist Grönland so geeignet wie jeder andere Ort.

Dass Viktor gerade diesen Artikel aufgehoben hat, gefällt mir nicht. Es scheint, als wollte auch er eine Erinnerung am Leben halten. Seiner Wut neuen Antrieb geben, wann immer er den Zeitungsausschnitt in den Händen hält. Wie ich kann auch Viktor nicht vergessen und nicht verzeihen. Vielleicht befürchtet er, ich könnte irgendwann mein Schweigen brechen. Ihn zur Strecke bringen. Eine berechtigte Angst, doch er weiß nicht, wie nah ich ihm tatsächlich schon bin.



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